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Sublimation von Flucht- und Migrationserfahrungen in der aktuellen deutsch-arabischen Lyrik

11. Oktober 2024 | 20:00 - 22:15

Kostenlos

„Für mich ist Lyrik eher Rettung, als dass sie Dokumentation ist“, so der Irakische Dichter Kadhem Khanjar im Dialog mit seiner Verlegerin bei der Präsentation seines auf Deutsch übersetzten Gedichtbandes in Frankfurt im Jahr 2019.[1]

Quasi wie ein zynischer, von den täglich gehörten grauenvollen Geschichten erschöpfter Traumatherapeut führt uns dieser Lyriker das jüngere Elend seiner Heimat vor. Er reflektiert es poetisch, und bringt es so auf den Punkt. Khanjars Heimat ist und war ein „Babylon“, und was anmutet, wie eine vermeintliche Sprach-Allegorie, wird konkret anhand seiner Texte:

„Jede Nacht / schleppe ich meine Augen auf den Blindenhügel / … schüttele sie aus. / doch die abgetrennten Köpfe fallen nicht raus. / Ich schüttele sie aus. / doch die abgetrennten Köpfe fallen nicht raus.“[2]

So etwa heißt es in Kadhem Khanjars Gedicht „Halsabschneider“ und der mit der Arbeit mit Geflüchteten vertraute Psychiater ahnt, hier verbergen sich eben keine Metaphern hinter den grausamen Worten, sondern sehr konkrete Erlebnisse. Denn: Erst durch den Umweg der Poesie wird das Unsagbare haptisch und sagbar. Der artifizielle Kniff der eben vermeintlichen Allegorie ist hier also durchaus ein Vehikel des „Sagens“, beschreibt er doch auf sehr mutige und konfrontative Weise ein Kern-Symptom der Traumatisierten: das nicht zur Ruhe kommen, die Hypererregung und diese vor allem dann, wenn alles schweigt, denn: Nachts geht der Schnitter um, kommen die Flashbacks ans innere Auge, kein Weg auf den „Blindenhügel“ hilft, die „Köpfe“ fallen einfach nicht aus dem Kopf, sie rollen weiter. Den Hügel hinunter?

Khanjar evoziert genau diese (sehr realen) Bilder, ohne sie explizit nennen zu müssen. Psychiater und Dichter nicken sich zu. Das soll genügen. Weitere Worte wären fast zuviel. Der blinde Fleck des Traumas und die zu lösende Sprachlosigkeit korrespondiert so mit einem zu viel an Bildern und Erlebtem. Die Nacht, so berichten es meine Klienten, sei das Schlimmste, tagsüber: gerne möglichst viel arbeiten (was als Überkompensation auch zum Problem werden kann, aber das ist ein weiteres Thema …). In Kettelers Vortrag soll Traumatologie und Narration zusammen gedacht werden und auch die deutsche Lyrik bildet mit ihren Nachkriegsgedichten einen Ankerpunkt an gemeinsamer, zum Teil kollektiver Erfahrung.

[1] https://soundcloud.com/mikrotext/der-irakische-lyriker-kadhem-khanjar-uber-babylon-explosionen-freunde, abgerufen am 3.10.2021
[2] Khanjar, Kadhem: Dieses Land gehört euch. Gedichte. Berlin, 2019. S. 15.

Daniel Ketteler
Vortrag: 3 UE, Präsenzveranstaltung mit Zoomübertragung (für alle) , TP/AP, für alle

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Details

Datum:
11. Oktober 2024
Zeit:
20:00 - 22:15
Eintritt:
Kostenlos
Veranstaltungskategorie:

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