„Für mich ist Lyrik eher Rettung, als dass sie Dokumentation ist“, so der Irakische Dichter Kadhem Khanjar im Dialog mit seiner Verlegerin bei der Präsentation seines auf Deutsch übersetzten Gedichtbandes in Frankfurt im Jahr 2019.
Quasi wie ein zynischer, von den täglich gehörten grauenvollen Geschichten erschöpfter Traumatherapeut führt uns dieser Lyriker das jüngere Elend seiner Heimat vor. Er reflektiert es poetisch, und bringt es so auf den Punkt. Khanjars Heimat ist und war ein „Babylon“, und was anmutet, wie eine vermeintliche Sprach-Allegorie, wird konkret anhand seiner Texte:
„Jede Nacht / schleppe ich meine Augen auf den Blindenhügel / … schüttele sie aus. / doch die abgetrennten Köpfe fallen nicht raus. / Ich schüttele sie aus. / doch die abgetrennten Köpfe fallen nicht raus.“
So etwa heißt es in Kadhem Khanjars Gedicht „Halsabschneider“ und der mit der Arbeit mit Geflüchteten vertraute Psychiater ahnt, hier verbergen sich eben keine Metaphern hinter den grausamen Worten, sondern sehr konkrete Erlebnisse. Denn: Erst durch den Umweg der Poesie wird das Unsagbare haptisch und sagbar. Der artifizielle Kniff der eben vermeintlichen Allegorie ist hier also durchaus ein Vehikel des „Sagens“, beschreibt er doch auf sehr mutige und konfrontative Weise ein Kern-Symptom der Traumatisierten: das nicht zur Ruhe kommen, die Hypererregung und diese vor allem dann, wenn alles schweigt, denn: Nachts geht der Schnitter um, kommen die Flashbacks ans innere Auge, kein Weg auf den „Blindenhügel“ hilft, die „Köpfe“ fallen einfach nicht aus dem Kopf, sie rollen weiter. Den Hügel hinunter?
Khanjar evoziert genau diese (sehr realen) Bilder, ohne sie explizit nennen zu müssen. Psychiater und Dichter nicken sich zu. Das soll genügen. Weitere Worte wären fast zuviel. Der blinde Fleck des Traumas und die zu lösende Sprachlosigkeit korrespondiert so mit einem zu viel an Bildern und Erlebtem. Die Nacht, so berichten es meine Klienten, sei das Schlimmste, tagsüber: gerne möglichst viel arbeiten (was als Überkompensation auch zum Problem werden kann, aber das ist ein weiteres Thema …). In Kettelers Vortrag soll Traumatologie und Narration zusammen gedacht werden und auch die deutsche Lyrik bildet mit ihren Nachkriegsgedichten einen Ankerpunkt an gemeinsamer, zum Teil kollektiver Erfahrung.
Der Referent
Prof. Dr. med. Dr. phil. Daniel Matthias Ketteler hat eine Professur für Sozialmedizin am Department Pädagogik und Soziales an der Medical School Berlin. Daneben ist er als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie im Gesundheitszentrum für Flüchtlinge in Berlin (GZF) tätig.
Er hat sowohl Medizin als auch Germanistik studiert und in beiden Fächern promoviert. Neben der Publikation wissenschaftlicher Artikel ist er Mitherausgeber von:
[SIC] – Zeitschrift für Literatur, sowie Autor von Prosa und Lyrik.
Teilnahmegebühr
10,00 €, erm. 7,00 €
Teilnahmemöglichkeiten
In Präsenz
Eine Anmeldung wäre schön, insbesondere, wenn Sie eine Teilnahmebescheinigung benötigen, ist aber nicht zwingend erforderlich. Barzahlung vor Ort ist möglich, für einen reibungslosen Ablauf würden wir Sie aber bitten, rechtzeitig vorab zu überweisen. Bei kurzfristigen Überweisungen bringen Sie bitte einen Überweisungsnachweis mit. Eine Anwesenheitsliste für die Zertifizierungspunkte liegt aus, bitte denken Sie an Ihre Aufkleber.
Online-Teilnahme per Zoom
Den Beitrittslink erhalten Sie nach Anmeldung und Zahlungseingang einen Tag vor der Veranstaltung. Anmeldeschluss ist am 10.10.2024!
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Berliner Lehr- und Forschungsinstitut
Bank für Sozialwirtschaft
IBAN DE05 3702 0500 0003 1151 00
BIC BFSWDE33XXX
Verwendungszweck: Vortrag 10-2024
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